Orthomolekularmedizin als wichtiger Baustein der integrativen Onkologie

Puzzle-Baustein

Orthomolekularmedizin als wichtiger Baustein der integrativen Onkologie



Gerade onkologische Patienten leiden häufig unter Mikronährstoff-Defiziten. Oft bestehen diese schon bei Diagnosestellung und verschärfen sich durch die psychische Belastung und die Therapie. Besonders Nebenwirkungen der Chemotherapie wie Übelkeit, Erbrechen und Durchfall sowie Wechselwirkungen mit einer medikamentösen Tumortherapie können zu reduzierter Aufnahme und vermehrter Ausscheidung wichtiger Mikronährstoffe führen.

Der komplementäre Onkologe Dr. Peter Holzhauer und der Mikronährstoff-Experte Uwe Gröber beschäftigen sich schon lange mit wichtigen Mikronährstoffen in der onkologischen Intervention. Sie betonen die Effektivität dieser „Stellschrauben“ des Stoffwechsels und ihren Stellenwert bei den biologischen Abläufen in der onkologischen Therapie.


Vorteile einer guten Makro- und Mikronährstoff-Versorgung


  • guter körperlicher Ernährungsstatus   Kompensation krankheits- und therapiebedingter Beschwerden
  • bessere Therapieverträglichkeit, geringere Nebenwirkungen   bessere Compliance
  • zielgenaue Substitution, da chemotherapeutische Wirkstoffe dem Körper z.T. wichtige Nährstoffe entziehen können   gesunder Zellstoffwechsel
  • besserer Immunstatus, geringere Infektanfälligkeit, verbesserte Wundheilung   höhere Lebensqualität


Folgende Mikronährstoffe sehen die Experten als besonders wichtig an:



Selen
Laut Dr. Holzhauer ist Selen „ein essentielles Spurenelement in der Onkologie“. Selen ist wichtig für alle Stufen der Immunantwort und beruhigt Entzündungen. Es hemmt den zentralen Entzündungsfaktor, aktiviert die Immunantwort, ist essentiell an der DNA-Reparatur beteiligt und besitzt eine selektive Zytotoxizität gegen Krebszellen. Und: „Ein Anheben des Selenserumspiegels reduziert die toxischen Nebenwirkungen von Chemo- und Bestrahlungstherapien, ohne gleichzeitig deren Anti-Tumor-Effekte zu beeinträchtigen“, so Dr. Holzhauer. Anzustrebender Zielwert Selen im Vollblut: 130 – 155 µg/l Orale Dosierung: 300 – 500 µg als Natriumselenit


Vitamin D
Seine hormonaktive Form 1,25-(OH)2-Cholecalciferol (Calcitriol) hat Einfluss auf das Herz-Kreislauf-System, das endokrine System, das Immunsystem sowie auf die Zelldifferenzierung und das Zellwachstum. Ein Vitamin D-Mangel gilt bereits als potentieller Risikofaktor für Krebserkrankungen. Außerdem können „neuroprotektive Substanzen wie Vitamin D … die pharmakologische Schmerztherapie sinnvoll unterstützen. Bei muskulo-skelettalen Schmerzen unterschiedlicher Genese sollte ein Vitamin D-Mangel (25(OH)D < 20 ng/ml) unter ärztlicher Kontrolle ausgeglichen werden (Zielwert: 25(OH)D  40 – 60 ng/ml). Lebensqualität und Schmerzbelastung können durch Vitamin D signifikant verbessert werden,“ so Herr Gröber.

Aufgrund des engen Zusammenhangs zwischen dem Immunsystem und dem Intestinaltrakt kommt Vitamin D zusammen mit einer Stärkung des Mikrobioms mit Präbiotika und geeigneten Probiotika eine zentrale Rolle in der Vermeidung und Eindämmung von silent inflammation zu. Neuere Studien bestätigen auch ein längeres Rezidiv-freies Intervall. 


Omega-3-Fettsäuren
Essentielle ungesättigte Fettsäuren haben über den Prostaglandin-Stoffwechsel vor allem antientzündliche Wirkungen. Daneben zeigen Studien anti-kachektische Effekte und positive Wirkungen bei Fatigue und Chemobrain. Die Zufuhr ungesättigter Fettsäuren in der heutigen Ernährung ist meist defizitär, und zusätzlich hat sich das Verhältnis von Omega-6 zu Omega-3 sehr zu Ungunsten von Omega-3 verschoben. Diese Entwicklung ist vor allem für Tumorpatienten besonders negativ, da Entzündungen sowohl an der Tumorgenese als auch am Fortschreiten der Erkrankung beteiligt sind. Eine Substitution von Omega-3-Fettsäuren wird deshalb uneingeschränkt empfohlen. Neben Fischöl steht auch Algenöl mit einem höheren DHA-Anteil und einem angenehmeren Geschmack zur Verfügung.


Magnesium
Die Bedeutung dieses Mineralstoffs geht weit über die allgemein bekannte relaxierende Wirkung hinaus. Magnesium ist essentieller Cofaktor bei über 600 enzymatischen Reaktionen. Unter anderem ist es im Vitamin D-Stoffwechsel, bei der Transkription und Replikation der DNA und am ATP-Stoffwechsel jeder Zelle beteiligt. Auch onkologische Therapien (Chemo-, Strahlen- und Antikörpertherapien) führen häufig zu Magnesiummangel. Infolgedessen kann das Schmerzempfinden verstärkt werden. Bei manchen Chemotherapeutika können nephrotoxische Nebenwirkungen durch Magnesiumsubstitution reduziert werden.


Vitamin A
„Vitamin A erfüllt in seinen 3 aktiven Formen Retinol, Retinal und Retinsäure zahlreiche physiologische Funktionen, u. a. bei der Genexpression und Hirnentwicklung, im Immunsystem und beim Sehvorgang. Bei vielen Stoffwechselschritten wirkt es synergistisch mit Vitamin D. Es deutet sich an, dass mind. 25% der Bevölkerung in Deutschland die empfohlene Aufnahme von Vitamin A mit der Ernährung nicht erreichen. Die Bedarfsdeckung durch Carotinoide wurde lange überschätzt, da Absorption und Konversion interindividuell stark schwanken“, soweit Herr Gröber. Er verwies auf verschiedene Studien, die positive Wirkungen auf entzündliche Prozesse, das Fatigue-Syndrom und bei Schleimhautproblemen bestätigen.


L-Carnitin
Dieser Baustein ist wichtig für den mitochondrialen Stoffwechsel und stabilisiert zelluläre Membranen. L-Carnitin hemmt pro-inflammatorische Zytokine, aktiviert T-Lymphozyten sowie NK-Zellen und schützt die Mitochondrien. Eine Empfehlung gilt für die Fatigue-Symptomatik, bei therapiebedingter Gewichtsabnahme, für Chemotherapie-induzierte Nervenschäden und für alle Krebspatienten mit schlechtem Ernährungsstatus.


Zink
Wesentliche Prozesse des Immunsystems sowie die Aktivität der NK-Zellen sind Zink-abhängig. Studien zeigen auch radioprotektive Effekte. In der komplementären Therapie werden Zink-Gaben von 10 mg empfohlen.


Vitamin C
Bisher wurde während einer Krebstherapie von der Einnahme von Vitamin C abgeraten aufgrund der antioxidativen Eigenschaften dieses Vitamins. Laut Uwe Gröber gilt dies nicht mehr pauschal, auch weil Vitamin C wesentlich weitreichendere Funktionen hat. Studien zur Vitamin C-Gabe bei Chemotherapie belegen eine geringere Nebenwirkungsrate sowie einen günstigen Einfluss auf den Krankheitsverlauf und damit eine bessere Lebensqualität von Krebspatienten bei guter Vitamin C-Versorgung.


Fazit
Bisher war man mit Nährstoffsupplementen in der onkologischen Therapie eher vorsichtig, um die Effektivität der konventionellen Therapien nicht zu gefährden. Inzwischen liegen jedoch zahlreiche evidenzbasierte Studien vor, die belegen, dass eine Supplementierung bestimmter Mikronährstoffe während einer Krebstherapie sowohl die Lebensqualität als auch die Prognose der Patienten verbessern kann. Soweit mit Laboruntersuchungen eine Bestimmung leicht und kostengünstig möglich ist (Vitamin D, Selen, Omega-3), empfiehlt sich die Bestimmung des Ist-Wertes des Patienten. Eine Substitution kann dann gezielt erfolgen und überprüft werden.



Autorin

Maria Hoderlein, Apothekerin
Klösterl-Apotheke, München


Stand: Januar 2020