Antientzündliche Strategien
von Dr. med. Siegfried Schlett
März 2017

Antientzündliche Strategien

Bild: Die ambivalente Arbeit der Mitochondrien, Arkadi Prokopov (Palma, Mallorca)

Energiegewinnung und Entzündung
Lebensenergie entsteht durch die Verbrennung von Rohstoffen. Jede Verbrennung erzeugt einen Funkenflug (Radikale), der untrennbar mit Wachstum und Leben verbunden ist. Der natürlichste Weg, ROS (reactive oxygen species) und RNS (reactive nitrogen species) entstehen zu lassen, ist Sport und Bewegung. Der Muskel verbrennt Kohlehydrate und Fette, erzeugt ATP und wird warm. Es entsteht ein Funkenflug an freien Radikalen, die es einzufangen gilt. Ein gesunder Körper greift auf seine antioxidativen Systeme zurück (z.B. Albumin, Eiweiße, Glutathion, Coenzym Q, Enzyme), gleicht die verbrennungsbedingte Schieflage aus und löscht die Radikale aus. Und dies gelingt ihm bis ins hohe Alter. Es ist ein Balanceakt und sollte -wie jede Kinderschaukel im Garten- oft hin und her bewegt werden, damit sie nicht einrostet. Gesundheit durch Sport kann allein mit dieser effektiven Kippbewegung beschrieben werden.

Neben der Radikalflut, die durch Muskelarbeit entsteht, können Funkenstürme auch durch Temperaturänderungen ausgelöst werden. Dies machen wir uns zunutze, wenn wir im Winter im Eiswasser baden, beim Wechselduschen am Morgen oder bei Kneippkuren. Abrupte Kälte erzeugt Chaos in Abermillionen Mitochondrien1, welche freie Radikale erzeugen und den Körper provozieren, seine antioxidativen Systeme hoch zu fahren. Das Gleiche findet bei einem Saunabesuch bei Gesunden oder einer Fieberattacke bei Kranken statt. Hitze steigert die Verbrennung und provoziert die Radikale, welche ausgleichende Systeme wachrufen. Radikale werden auch während des Abbaus von Eiweiß und Adrenalin, bei Entgiftungs-reaktionen des Cytochrom-P450-Systems infolge Arzneimittelkonsums und durch kampfbereite weiße Blutkörperchen und Makrophagen und im Kampf gegen Parasiten und Bakterien gebildet.
Radikalische Rebalancierung
Die radikalische Rebalancierung ist für eine dauerhafte Gesundheit und adäquate Immun-reaktionen lebenslang entscheidend. Verzögert sich dieser Vorgang (s. Übersäuerung) oder wird er durch nicht zur Ruhe kommende TH1-(Bakterien, Viren) oder TH2-(Parasiten, Allergien)-Aktionen ständig bedrängt, bleibt die Radikalflut als Reiz bestehen. Dies trägt dazu bei, dass sich immunstimulierende Impulse verselbständigen können bis hin zu autoimmunologischen Prozessen mit massiver Eigendynamik. Die Bahnung läuft über
•    Erhöhung der Konzentration an pro-entzündlichen Interleukinen und deren Folgen
•    Induktion und Neusynthese entzündungsfördernder Zytokine, Aktivierung des Transkriptionsfaktors NFκB
Kaskadenartig folgen Mediator-, Cyclooxygenasen- und Prostaglandinbildungen. Auf diesem Weg bahnen sich unspezifische Entzündungen in Form von allergischen Diathesen, auto-immunologischem Wetterleuchten bis hin zu akuten hyperergischen Immunentgleisungen.
Ein Beispiel ist die nicht-alkoholische Fettleber bei der im Organismus multiple Folgeentzündungen entstehen können. Allergien und Mb. Hashimoto haben eine direkte  Korrelation. Die Folgeinflammatio entsteht immer an dem Ort, der sich gegen die Angriffe am schlechtesten verteidigen kann. Das hängt u.a. von der genetischen Ausgangslage und der antioxidativen Kapazität der Person ab.
Folgende Erkrankungen sind u.a. durch eine ständige nitrosative Stressschieflage gekennzeichnet: Mb. Parkinson, Diabetes, Arthritiden und Allergien. Radikalische Unruhezustände werden auch durch Schwermetallbelastungen, Zahnherde, Umweltgifte, Arzneimittelkonsum/-metabolismus und hypoxische Zustände verursacht.
Die klassische Schulmedizin orientiert sich an den Symptomen und versucht durch immer effektivere Interruptoren diese Kaskaden zu unterbrechen. Die nebenwirkungsbelasteten Substanzen sind aber nicht dazu angetan, die Ursache des Geschehens zu beeinflussen.
Und vor allem sollte man immer daran denken, dass in fast 30% der Fälle chronische Entzündungen an der Tumorentstehung beteiligt sind.

Strategien gegen Entzündungen
Je umfassender unsere antioxidative Kapazität, die Summe aller antioxidativ arbeitenden Systeme, abrufbar ist, desto effektiver können wir den alltäglichen Radikal-Funkenflug bewältigen. Das hat mehr mit Lebensführung, denn mit kurzfristigen Maßnahmen zu tun. Es geht dabei nicht um begrenzte Therapiezeiten, eher um eine „antientzündliche Lebensweise“. Diese setzt sich aus vielen Komponenten zusammen.

Bewegung
Ein wichtiger Faktor ist die moderate, aber konstante Bewegung: Damit entsteht ein Reiz für den Körper, die antioxidative Kapazität zu erweitern und pro-entzündliche Schieflagen, die im Immunsystem verankert sind, quasi indirekt auszubalancieren. Radikalfluten, die durch mehr Verbrennung infolge Bewegung ausgelöst werden, treffen auf sehr effektives antioxidatives System, welches Radikale beseitigt. Sport ist die wichtigste Anti-Entzündungs- und damit auch Anti-Krebs-Strategie überhaupt. Die durch die Bewegung ausgelöste Verbrennung und ROS/RNS-Flut im Tumor ist die stärkste natürliche zytostatische Maßnahme, die es gibt. Der durch die Bewegung ausgelöste Anstieg des Adrenalinspiegels im Blut gibt zudem das entscheidende Signal dafür, vermehrt NK-Zellen zu produzieren und in die Tumore zu schleusen.
Empfehlung: Pro Woche mind. 4 x 30 min moderates Ausdauertraining oder mehr, z.B. Fitnesscenter mit 15 min Crosstrainer und 15 min Laufband oder Nordic Walking, Laufen oder Radeln auf dem Hometrainer.

Antioxidantien
Ergänzen sollte man in der Anfangsphase des „anti-entzündlichen Lebens“ kurmäßig niedermolekulare und pflanzliche Antioxidantien (Vit A, C, E, Selen, Q10, Gerbstoffe, Proanthocyanidine etc.) bis die Entzündungszeichen abflauen. Wichtig sind hypoallergen hergestellte Präparate, um das allergisierende Potential niedrig zu halten. Organische Schwefelverbindungen zum Aufbau des Glutathionsystems, zur unterstützenden Neubildung von Bindegewebsbausteinen und zur ständigen Verbesserung der Entgiftung, können je nach Beschwerdebild hilfreich sein.

Omega-3-Fettsäuren
Der aus dem Blut zu ermittelnde Fettsäurestatus gibt Auskunft über die Entzündungsaffinität vor allem der Membranen, die ein entscheidender Faktor in der Befehlsweitergabe darstellen. Durch eine gezielte Optimierung der Omega-3-Bestände werden bestimmte Eicosanoide, die in der Folge auch proentzündlich wirken, besser ausbalanciert.

Nebennierenaktivität
Auch die endogene Kortisolbiosynthese balanciert unser auf Kampf getrimmtes Immunsystem in der Regel über verschiedene Wege ab. Man sieht dies gut bei Schwangeren, die unter autoimmunologischen Krankheiten leiden. Viele Schwangere verbessern sich, weil sie in dieser Zeit über 4 Nebennieren (den zwei eigenen und den beiden vom Kind) verfügen. Auch das in sich anti-inflammatorisch wirksame Progesteron verbessert in dieser Phase das Kortisonangebot.
Untersucht man das Tagesprofil (5 Speichelproben über den Tag) dieses antientzündlichen Hormons, lassen sich Nebennierenschwächen erkennen und behandeln. Bevor mit der externen Substitution begonnen wird, die ihrerseits eine weitere Schwächung der eigenen Nebennierenaktivität zur Folge hätte, sollte man mit einer Optimierungen der endogenen Kortisolbiosynthese beginnen. Dazu gehören Vitamin C- Infusionen (Pascorbin®) in Kombination mit Vitamin B5 und regulatorische Unterstützung mit homöopathischen Komplexen wie Phyto C® oder Glandula suprarenales Gl Wala® Ampullen.
Pflanzliche Extrakte (Adaptogene) verbessern die Ausdauer der NNR-Aktivität. Dazu zählen  Rhodiola, Eleutherococcus, Ginseng und Ashwaganda.
Tierische Nebennierenextrakte mit sehr niedrigen Kortisongehalten werden von Thorne als Adrenal cortex und von Pure Encapsulations als ADR-Formula oder Adrenal in Kapselform angeboten. Bioidentisches Hydrocortison ist in verschiedenen Zubereitungen (Asthmaspray, Tabletten) im Handel.
Nicht-bioidentische Kortikoide gehören zunächst in die Akut- und Notfallmedizin (z.B. Methylprednisolon). Die nicht bioidentischen Substanzen Prednison und Prednisolon haben sich in der oralen Dauertherapie etabliert.

Darmgesundheit
Für die Lage des Immunsystems spielt der Darm eine ganz entscheidende Rolle. Die Darmschleimhaut enthält lymphoidales Gewebe mit mehr als 70 Prozent der körpereigenen Immunzellen. Im Dünndarm sitzen Ansammlungen von 10 bis 50 Lymphfollikeln, die sogenannten Peyer´schen Plaques. Sie sind Teil des »Schleimhaut-assoziierten Lymphgewebes« oder GALT (englisch: gut associated lymphoid tissue). Etwa 90 Prozent aller Antikörper werden hier gebildet.
Ist die Mikrobiota gestört, wird das Immunsystem à la longe davon betroffen sein: Durch- läuft im Bereich der Lymphfollikel ein irritierender Darminhalt den Darmkanal, werden die pro-entzündlichen Kaskaden der immunkompetenten Noduli antworten. Herrscht Ruhe im Verdauungstrakt, reagieren die Systeme nur, wenn aus der Ferne (z.B. bei Angina oder Panaritium) Hilfe angefordert wird. In dieser Form ist die pro-entzündliche Immunantwort gesund und lebenserhaltend. Deswegen muß Qualität und Art der  Lebensmittel, die wir essen, stimmen, um den Frieden im Darm nicht zu irritieren (siehe auch Blutgruppendiät).
Antientzündliche Strategien fangen daher häufig mit einer 4-6 wöchige Auslasskur, z.B. Verzicht auf Kuhmilch jeder Art oder von Nachtschattengewächsen, an. Der Zustand der Mikrobiota beeinflusst auch die Schwere von Lebensmittelallergien. Wenn sie gestört ist, wirken sich Allergene im Darm schwerer aus und die Person hat mehr Beschwerden. Arbeiten alle Bakterien ausgeglichen, wird das Steuerungsprotein NOD2 von Darmwandzellen gebildet. Ist die Flora gestört (z.B. nach mehreren Antibiotikagaben), sinkt der regulierende NOD2 Spiegel und das Immunsystem wird, ohne dass es nötig wäre, aktiviert.
Gelingt es, die Mikrobiota zu regenerieren, werden die Impulse in Richtung einer immunologischen Antwort schwächer und pro-entzündliche Interleukinmuster treten in den Hintergrund. Diese Befriedung beseitigt Magen-Darmstörungen zu allererst und kann bis zum Beruhigen peripher gelegener Entzündungsherde (z.B allergisches Asthma, Fibromyalgie, Neurodermitis, Lebensmittelallergien und Hashimotothyreoiditis) reichen.
Empfehlung: Untersuchung der Darmflora, hypoallergene Breitband-Probiotika, Lebensmittelscreening, Diät

Entgiftung
Auch moderne Gifte wie z.B. Blei in der Industrie, Quecksilber aus Amalgamplomben oder Cadmium in Zigaretten bilden pro-entzündliche Links aus.
Empfehlung:
Chelattherapie
DMPS-Provokationstest nach Daunderer und Bestimmung der ausgeschiedenen Schwermetallmengen im II. Urin
DMSA-Therapie (siehe auch www. kloesterl-infoportal.de)

Standard-Einnahmeschema:  Dosis für einen 70kg schweren Patienten:
10mg/kg/KG für 14 Tage bedeutet 700mg DMSA jeweils an drei aufeinander folgenden Tagen (X), 1 Trinktag (Trink) gefolgt von 11 Tagen Substitution mit Spurenelementen und Mineralien (X)

Besondere Hinweise:
Da die DMSA-Chelatkomplexe vor allem renal elimi¬niert werden, sollen alle Patienten, die ausleiten, viel trinken. Bei Patienten mit eingeschränkter Nieren¬funktion ist erhöhte Vorsicht geboten. Da nur unvoll¬ständige Untersuchungen über teratogene und muta¬gene Einflüsse durch DMSA vorliegen, verbietet sich die Gabe bei Schwangeren.
Modifiziertes-Einnahmeschema:
Wenn bei langjährigen Amalgamträgern die DMPS-Mobilisation schlecht funktioniert und neurologische Symptome, die auf eine Depotierung im lipophilen Kompartiment hindeuten, im Vordergrund stehen, muß man das Einnahmeschema modifizieren.
In diesem Fall täglich 100-200 mg DMSA für drei Wochen kontinuierlich, dann 2 Wochen Substitution mit Multimineralien (z.B. P.E. Mineral 650), Wiederholung nach 8 Wochen.
Eine moderate Bewegung in dieser Zeit ist notwendig, um eine gute Durchmischung des Bindegewebes zu erzeugen.
Orthomolekulare Ergänzungen sind notwendig, weil Schwermetalle mit Körpermetallen um deren Bindungsstellen konkurrieren. Je länger Hg, Pb, Cd und As damit interagieren, desto stärker stören sie unsere hauseigenen Mineral- und Spurenelementhaushalte, feststellbar im Vollbluttest.
Labortests: Mineralien- und Spurenelemente im Vollblut, Funktionsparameter: CRP(hs), rotes Blutbild, Transferrin, Lipidperoxidation.
Bioenergetische Tests (AK, EAV, Bioresonanz), hypoallergene Vitalstoff-Produkte.

Entsäuerung
Je saurer das Bindegewebe, desto schmerzempfindlicher und entzündungsbereiter ist dieses Milieu. Bei einer chronischen metabolischen Azidose werden z.B. die Knochen geschädigt, weil der Blut-pH-Wert durch Mobilisierung von Knochensubstanz im Normbereich gehalten wird. Daher ist es gerade bei älteren Patienten empfehlenswert, eine chronische metabolische Azidose zu therapieren. Hierfür empfiehlt sich die Gabe eines hoch dosierten, magensaftresistenten Bicarbonat-Präparates (z.B. BicaNorm®).
Empfehlung: Im Urin mehrmals täglich ph-Messung über mehrere Tage durchführen. Die gewonnenen Werte in ein Diagramm eintragen und die Tendenz, die sich abzeichnet, in diätetische Forderungen und die Einnahme von Basen-zuführenden Präparaten umsetzen.

Die letzte Wahl: Arzneimittel
Obwohl sie die chronische Entzündung nur unterdrücken und nicht die Ursache beseitigen, steht der Arzneimittelkonsum an erster Stelle. Trotz multimodaler Ursachen der Entzündungen ist das vorherrschende Therapiekonzept der Schulmedizin die alleinige Gabe von z.B. antiphlogistisch wirksamen und schmerzlindernden Arzneimitteln.
Einige Wirkgruppen im Überblick:
COX-I-Hemmer: ASS, Indometacin, Piroxicam, Ibuprofen
COX-II-Hemmer: Diclofenac, Naproxen, Fluriprofen, Celecoxib, Rofecoxib, Corticoide
Downregulation des Transkriptionsfaktors NFκB: Azelastin, Lovastatin, Capsaicin
Curcumin, Catecholderivate (Epigallocatechingalleate im Grünen Tee, OPC), Colchicum, Tetrahydrocannabiol (THC).
Die neu entwickelten Biosimilars und Interleukin-Antikörper greifen noch effektiver und tiefer in die Entzündungs- und Immunkaskade ein, sind aber nicht kausal wirksam. Zudem sind die Nebenwirkungen immer in Relation zu dem zu erwartenden Erfolg zu setzen.

Manchmal gelingt es, die Verbindung zwischen chronischer Entzündung und Krebs zu unterdrücken. Seit langem ist bekannt, das der Wirkstoff Acetylsalicylsäure Entzündungen und in Dosen um 325mg täglich bestimmten Krebsformen vorbeugen kann. Bisher war nicht geklärt, über welche zellulären Prozesse das Medikament wirkt. Ein Team von Wissenschaftlern vom Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen Heidelberg, vom Deutschen Krebsforschungszentrum und von den US-amerikanischen Krebsforschungs-zentren in Salt Lake City und in Seattle ging dieser Frage mit einer detaillierten Stoffwechsel-Analyse nach. Dabei entdeckten die Forscher, dass Aspirin über die Reduktion von Entzündungen die Blutkonzentration des krebsfördernden Stoffwechselprodukts 2-Hydroxyglutarat senkt.
Ein weiteres Vermeidungskonzept heißt Reduktion von Emulgatoren im Essen und Verwendung von möglichst unverarbeiteten Lebensmitteln.


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